Der Nussbaum Erwein

Der Nussbaum Erwein

Niemand weiß, wann oder wer den alten Nussbaum gepflanzt hat, der stolz und groß am Hang in der Nähe eines alten Bergbauernhofes steht und auf die Rebzeilen unterhalb und die Berggipfel oberhalb des kleinen Anwesens blickt. Selbst die Alten kennen ihn nur als mächtigen Solitär, der schon immer das Bild der Landschaft geprägt hat. Beeindruckend schaut er aus, ein rauschender munterer Bach fließt murmelnd zu seinen Füßen, ein Bänklein steht in seiner Nähe und hinter ihm steigt das Gelände rasch an. Wunderschöne Weingärten, so weit das Auge reicht. Sie umrahmen unseren Nussbaum auf malerischste Weise. Seit Menschengedenken schenkt er den Weinbauern Schatten und Kühle, wenn sie sich zur Rast an seinen Stamm anlehnen oder sich auf dem Bänkchen ausruhen. Erwein nennen sie ihn, da er zur Gemeinschaft gehört wie der Kirchturm und das Wirtshaus und da er wie sie schon immer da und nicht wegzudenken ist. Schon als Kinder haben die Weinbauern aus der Umgebung auf ihm geturnt und gekraxelt. Eine kleine Schaukel hängt an einem der unteren Äste. Seine Nüsse verschenkt er großzügig an alle, die ihn besuchen. Sie sind groß und köstlich, weithin beliebt und werden gerne zum Käse und zum Speck gegessen oder noch grün in Trester eingelegt.

So manches Liebespaar hat auf der kleinen Bank schon zärtlich Händchen gehalten. Erweins üppiges, grünes Blattwerk schützt sie vor neugierigen Blicken. So manches Mal hatte er schon allzu stürmischen Jünglingen mit einer Kopfnuss Manieren beibringen müssen, meistens aber betätigt er sich als Amors Gehilfe: Durch das sanfte Wiegen seiner Äste und die leisen Lieder, die der Wind in seinen Blättern und die Vögelchen in seinen Ästen singen, vergessen die Liebenden die Welt um sich herum. Müden Wanderern bietet er unermüdlich ein Plätzchen für ihre Rast und vielen hat er bei einem plötzlichen Regenschauer einen trockenen Unterschlupf beschert. So manch fröhliche Gesellschaft hat in seinem kühlen Schatten eine Marende gehalten und von seinen Nüssen genascht. Vor vielen langen Jahren, niemand kann sich genau erinnern wann, hat sich der Brauch eingestellt, das erste Glas vom Heurigen dem Nussbaum Erwein zu widmen. Vom Weißburgunder zum Beispiel, der die Klarheit des Gebirgsbachs, den Duft der Südtiroler Äpfel und der Blumen auf den Almwiesen vereint, der die Frische der Bergluft verströmt und dessen Mineralität an die Kiesel zwischen seinen Wurzeln erinnert. Oder auch vom roten Lagrein, der im Tal, nicht weit von seinem angestammten Platz entfernt wächst und in jeder Faser seiner Borke an die wilden Beeren des kleinen Wäldchens und die vollreifen Weichselkirschen des Sommers erinnert, dessen verführerischer Duft den Alpenveilchen ähnelt, die rot, weiß und rosafarben zwischen den Felsen wachsen. Samtig ist er wie das Moos an seinem Stamm. Unserem Nussbaum läuft ein wohliger Schauer durchs Geäst. Vor dem Törggelen strömen Jung und Alt im Trachtengewand - die Mädchen in Dirndln mit Blumen im Haar, die Burschen in Lederhosen mit weißem Hemd, Haferlschuh' und Tirolerhut - zum alten Nussbaum Erwein. Sie begießen ihn feierlich mit einem Glas des "Nuien". Erwein genießt diese Zeit im Herbst, und seine Wurzeln schlürfen die weingetränkte Erde. Gerade zu dieser Zeit wird sein innigster Wunsch, Mensch zu sein, fast unerträglich. Tief in seinem weichhölzernen Herzen wünscht er, dass auch er seine Wurzeln heben und ins Tal spazieren könnte. Wie gerne würde er seine Glieder recken und sich auf den Weg zum Törggelen - von einer Buschenschänke zur nächsten - machen, um den leckeren Südtiroler Wein zu kosten. Sicherlich würde er Freunde treffen und auch die Weinbauern, die er seit Kindesbeinen an kennt oder gar eines der jungen Mädchen, die ihn so gerne besuchen. Vielleicht die hübsche Blonde, die kürzlich seinen Stamm fest umarme und ihm weinend von ihrem Kummer erzählte. Wie gerne hätte er ihr Worte des Trostes zugeraunt! Wie gerne würde er mit den Burschen ein paar Gläschen Wein trinken und lustige Lieder singen! Wie schön muss es sein, denkt der Nussbaum, wenn man auf Wanderschaft gehen kann. Aber dieser Wunsch wird ihm wohl nicht erfüllt werden. Die vielen Sommer und Winter, die er kommen und gehen sah, zeigten es ihm. Wie sehr er sich auch streckte, wie sehr er seine tiefen Wurzeln aus der fruchtbaren Erde zu erheben versuchte, die Mühe war immer vergebens: Erwein blieb, wo er war. Doch mit dem Alter kommt bekanntlich die Weisheit! Je älter und größer, je beeindruckender und knorriger seine Erscheinung wurde, desto mehr Menschen kommen zu ihm, bewundern seine majestätische Größe, freuen sich über seine Früchte, lehnen sich an ihn, teilen ihre Freude und ihren Kummer mit ihm. Einsam ist er nicht. Viele treue Freunde suchen ihn regelmäßig auf, der Bach, der fröhlich glucksend an seiner Seite fließt, tränkt ihn. Er weiß das Vöglein in der Nähe, das ihm lustige Lieder singt, den Wind, der ihm von fernen Ländern erzählt, die Sonne, die sein Herz erwärmt, und die vielen Menschen und Tierlein, die in oft besuchen.

Jetzt ist wieder Törggelenzeit, die Liebhaber des hiesigen Rebensafts kommen, bringen ihm Wein und tanzen im Reigen um seinen Stamm herum, so wie es Brauch ist. Und dem alten Nussbaum wird bewusst, dass er in all den Jahren zwar kein Mensch geworden ist, aber ein Freund! Und auch wenn es keiner sehen kann: Erwein lächelt, seine Äste tanzen und seine Blätter singen im Wind. Er ist glücklich und schlürft seinen geliebten Wein aus der heimischen Erde.

Der Nussbaum Erwein - Weinhandel - Nussbaumer und Bachmann

Der Nussbaum Erwein

Der Nussbaum Erwein

Niemand weiß, wann oder wer den alten Nussbaum gepflanzt hat, der stolz und groß am Hang in der Nähe eines alten Bergbauernhofes steht und auf die Rebzeilen unterhalb und die Berggipfel oberhalb des kleinen Anwesens blickt. Selbst die Alten kennen ihn nur als mächtigen Solitär, der schon immer das Bild der Landschaft geprägt hat. Beeindruckend schaut er aus, ein rauschender munterer Bach fließt murmelnd zu seinen Füßen, ein Bänklein steht in seiner Nähe und hinter ihm steigt das Gelände rasch an. Wunderschöne Weingärten, so weit das Auge reicht. Sie umrahmen unseren Nussbaum auf malerischste Weise. Seit Menschengedenken schenkt er den Weinbauern Schatten und Kühle, wenn sie sich zur Rast an seinen Stamm anlehnen oder sich auf dem Bänkchen ausruhen. Erwein nennen sie ihn, da er zur Gemeinschaft gehört wie der Kirchturm und das Wirtshaus und da er wie sie schon immer da und nicht wegzudenken ist. Schon als Kinder haben die Weinbauern aus der Umgebung auf ihm geturnt und gekraxelt. Eine kleine Schaukel hängt an einem der unteren Äste. Seine Nüsse verschenkt er großzügig an alle, die ihn besuchen. Sie sind groß und köstlich, weithin beliebt und werden gerne zum Käse und zum Speck gegessen oder noch grün in Trester eingelegt.

So manches Liebespaar hat auf der kleinen Bank schon zärtlich Händchen gehalten. Erweins üppiges, grünes Blattwerk schützt sie vor neugierigen Blicken. So manches Mal hatte er schon allzu stürmischen Jünglingen mit einer Kopfnuss Manieren beibringen müssen, meistens aber betätigt er sich als Amors Gehilfe: Durch das sanfte Wiegen seiner Äste und die leisen Lieder, die der Wind in seinen Blättern und die Vögelchen in seinen Ästen singen, vergessen die Liebenden die Welt um sich herum. Müden Wanderern bietet er unermüdlich ein Plätzchen für ihre Rast und vielen hat er bei einem plötzlichen Regenschauer einen trockenen Unterschlupf beschert. So manch fröhliche Gesellschaft hat in seinem kühlen Schatten eine Marende gehalten und von seinen Nüssen genascht. Vor vielen langen Jahren, niemand kann sich genau erinnern wann, hat sich der Brauch eingestellt, das erste Glas vom Heurigen dem Nussbaum Erwein zu widmen. Vom Weißburgunder zum Beispiel, der die Klarheit des Gebirgsbachs, den Duft der Südtiroler Äpfel und der Blumen auf den Almwiesen vereint, der die Frische der Bergluft verströmt und dessen Mineralität an die Kiesel zwischen seinen Wurzeln erinnert. Oder auch vom roten Lagrein, der im Tal, nicht weit von seinem angestammten Platz entfernt wächst und in jeder Faser seiner Borke an die wilden Beeren des kleinen Wäldchens und die vollreifen Weichselkirschen des Sommers erinnert, dessen verführerischer Duft den Alpenveilchen ähnelt, die rot, weiß und rosafarben zwischen den Felsen wachsen. Samtig ist er wie das Moos an seinem Stamm. Unserem Nussbaum läuft ein wohliger Schauer durchs Geäst. Vor dem Törggelen strömen Jung und Alt im Trachtengewand - die Mädchen in Dirndln mit Blumen im Haar, die Burschen in Lederhosen mit weißem Hemd, Haferlschuh' und Tirolerhut - zum alten Nussbaum Erwein. Sie begießen ihn feierlich mit einem Glas des "Nuien". Erwein genießt diese Zeit im Herbst, und seine Wurzeln schlürfen die weingetränkte Erde. Gerade zu dieser Zeit wird sein innigster Wunsch, Mensch zu sein, fast unerträglich. Tief in seinem weichhölzernen Herzen wünscht er, dass auch er seine Wurzeln heben und ins Tal spazieren könnte. Wie gerne würde er seine Glieder recken und sich auf den Weg zum Törggelen - von einer Buschenschänke zur nächsten - machen, um den leckeren Südtiroler Wein zu kosten. Sicherlich würde er Freunde treffen und auch die Weinbauern, die er seit Kindesbeinen an kennt oder gar eines der jungen Mädchen, die ihn so gerne besuchen. Vielleicht die hübsche Blonde, die kürzlich seinen Stamm fest umarme und ihm weinend von ihrem Kummer erzählte. Wie gerne hätte er ihr Worte des Trostes zugeraunt! Wie gerne würde er mit den Burschen ein paar Gläschen Wein trinken und lustige Lieder singen! Wie schön muss es sein, denkt der Nussbaum, wenn man auf Wanderschaft gehen kann. Aber dieser Wunsch wird ihm wohl nicht erfüllt werden. Die vielen Sommer und Winter, die er kommen und gehen sah, zeigten es ihm. Wie sehr er sich auch streckte, wie sehr er seine tiefen Wurzeln aus der fruchtbaren Erde zu erheben versuchte, die Mühe war immer vergebens: Erwein blieb, wo er war. Doch mit dem Alter kommt bekanntlich die Weisheit! Je älter und größer, je beeindruckender und knorriger seine Erscheinung wurde, desto mehr Menschen kommen zu ihm, bewundern seine majestätische Größe, freuen sich über seine Früchte, lehnen sich an ihn, teilen ihre Freude und ihren Kummer mit ihm. Einsam ist er nicht. Viele treue Freunde suchen ihn regelmäßig auf, der Bach, der fröhlich glucksend an seiner Seite fließt, tränkt ihn. Er weiß das Vöglein in der Nähe, das ihm lustige Lieder singt, den Wind, der ihm von fernen Ländern erzählt, die Sonne, die sein Herz erwärmt, und die vielen Menschen und Tierlein, die in oft besuchen.

Jetzt ist wieder Törggelenzeit, die Liebhaber des hiesigen Rebensafts kommen, bringen ihm Wein und tanzen im Reigen um seinen Stamm herum, so wie es Brauch ist. Und dem alten Nussbaum wird bewusst, dass er in all den Jahren zwar kein Mensch geworden ist, aber ein Freund! Und auch wenn es keiner sehen kann: Erwein lächelt, seine Äste tanzen und seine Blätter singen im Wind. Er ist glücklich und schlürft seinen geliebten Wein aus der heimischen Erde.